Das Breakbeat Phänomen - 10 Jahre Drum'n'Bass in Mannheim
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Eine Dekade später wirft der ehemalige milk! DJ Holger Klein einen Blick zurück auf goldene Zeiten und Oliver Koehler hat für das Meier Magazin untersucht, was von der Euphorie übrig blieb.


Zwei Jahre spater sollte dieses Untergrund-Phänomen, das sich bei Techno, House, beschleunigten HipHop-Beats and dem traditionell karibisch geprägten Street-Sound Londons bediente, als Jungle oder Drum'n'Bass einen Medien-Hype erleben.
Besagter Club auf den Planken hieß seit Ende 1990 milk!. Der Heidelberger DJ Dirk Mantei, auch als D-Man bekannt kannt, ubernahm als Geschäftsführer eine herunter gewirtschaftete Fußgängerzonen-Disse, benannte diese um, schmiss das grottenhässliche Interieur auf den Müll und stellte eine Anlage rein, die schon bald einen legendären Ruf genießen sollte - der unendlich mächtigen Bässe wegen. Urban and stylish war das milk! wahrend der ersten Monate. Nur war Mannheim noch nicht wirklich so weit. Diejenigen, die es waren, gingen daher lieber nach Frankfurt - zu Sven Väth ins Omen.

Ändern sollte sich all dies an jenem Samstagabend im Januar 1992. Seit dieser DJ aus London die Nacht mit dem neuen Sound aus England rockte, war das milk! der Ort, an dem jeder sein wollte. Mein Kollege Sascha Dürk (besser bekannt als Bassface Sascha) und ich lernten unsere Lektion. Spielten wir vorher nur sporadisch Breakbeat, so wussten wir nun, wie wir uns vor der bis dahin übermächtigen Konkurrenz aus Frankfurt abzusetzen hatten. US-House, Detroit Techno oder Rave-Hits aus Belgien rückten in den Hintergrund.
Die Resonanz war überwältigend, 300 Kilometer fuhren viele regelmäßig um ihr Wochenende in Mannheim zu verbringen. In Restdeutschtand regierte Tekno mit betiebig vieten K's, in Mannheim feierte die britische Rave-Kultur mit Old School-Sneakers, Adidas-Klamotten, Stüssy-Hüten and Wollmützen. Die "milk!-Posse" rekrutierte sich aus Teenies, Alt-Hippies, Migranten-Kids, Skatern, Studenten and SVW-Hooligans, die via Ecstasy zu friedliebenden und sich umarmenden Ravern mutierten. "We are one family" heißt es in einem Track des Londoner DJ's Mickey Finn. Der wurde nicht von ungefähr zur Hymne dieses allwöchentlichen Wahnsinns. Pills'n'Thrills bis weit über die Sperrstunde hinaus.


Der Samstag, als dieser DJ aus London auf dem Flyer stand.
Holger Klein

State of the Drum'n'Bass Nation
"Wir befinden uns gerade in der vierten Generation!" Mag sein, dass dieser altklug anmutende Statement von DJ E.Decay kaum ein Kenner anderer Kultursparten beeindrucken würde. Auf die Mannheimer Drum'n'Bass Szene gemünzt, aber, dürfte diese Bilanz alles andere als negativ aufgefasst werden.
So oft wie diese Subkultur zur Leichenschau herhalten musste, verwundert es eher, wer alles noch aus der damaligen Stunde Null in diesem Milieu anzutreffen ist. Klar: Eine Wiederholungsfeier mit allen Akteuren der damaligen, gerne mal zur Selbstverherrlichung neigenden milk! Posse wäre wohl heute undenkbar, wenn nicht sogar pietätlos.
Dennoch würde es überraschen, wie viele aus der ursprünglichen Stammbesetzung bei so einem hypothetischen Klassentreffen ihre Gesichter wieder zeigen würden.

Und aus den damals erschreckend jungen milk! Konsumenten, z.B. Jan Sirup und der oben zitierte DJ E.Decay, sind inzwischen gestandene Produzenten, Club Promoter, und DJ's mit nationalem Renommee und internationalen Allüren geworden.

Das ist gut so. Zusammen mit dem Phaze Club kann Mannheim endlich das vorweisen, was in Köln, Berlin, oder München schon länger gang und gebe ist: Eine einigermaßen intakte, lokale Szene mit regelmäßigen Anlaufpunkten. Hat sich der Kreis also weg von der inzwischen bundesweit verpönten Großveranstaltung wieder im Sinne einer Drum'n'Bass Clubkultur geschlossen?
Nicht ganz: Wo früher ausufernde Ekstase, Anarchie, und Euphorie die Stimmung im milk! kennzeichneten, herrschen heute – auf DJ und Veranstalterseite – Professionalität und Sachlichkeit.
Während diese Haltung einerseits als Schutz vor unseriösen Anbietern im Jungle Bizness gedeutet wird, so soll sie aber auch dazu beitragen, den Verruf Mannheims eines englischen Jungle Satelliten wieder zurechtzubiegen.
Denn, wenn die Szene heute eines gemein hat, dann ist es der Wunsch, sich nicht mehr hinter einer hochtrabenden, überbezahlten Riege an englischen DJ's zu reihen, die alle nur dieselben Platten & Hits herunterleiern.
Also doch die typische drum'n'bass Nabelschau wie eh und je? Vielleicht. Aber, als Altruismus ausgedrückt: Nur eine solche Haltung wird letztendlich dafür sorgen, dass sich Mannheim auch in weiteren Jahren bzw. Generationen als Drum'n'Bass Hochburg bezeichnen darf.
Oliver Koehler






Die Texte erschienen im Februar 2002 im Mannheimer Stadtmagazin "Meier" und wurden future-music.net freundlicher Weise zur Verfügung gestellt.
Thanks to Ralph, Holger, Oliver.