Cityreport - Rhein-Neckar Area, Juni 1996

In einem Interview mit der englischen Zeitschrift Mixmag äußerte sich
Goldie zum Stand der Dinge der Entwicklung der britischen Jungle-Szene folgendermaßen:
"Es überrascht mich immer noch, wenn ich daran denke, dass wir diesen
ganzen Weg inzwischen gekommen sind..."
Und angesichts der Tatsache, das trotz Interventionsversuchen der Musikindustrie
und der Trendmedien der Rhein-Neckar-Raum eine vitale, anspruchsvolle Gemeinde
junger Junglists aufgezogen hat, lässt sich behaupten, dass das gleiche für
London gilt sowie für Mannheim!
Was nämlich diese Region, die bundesweit als Jungle HQ den Ruf weg hat, so
prägte, waren nicht die kurzlebigen Hype-Versuche, sondern die musikalische
Vorgeschichte. Es ist die Geschichte des ersten Auftrittes von Bryan Gee im
milk!
Club in Mannheim, und wie dieser die beiden Resident DJ's Groover Klein und
Bassface Sascha inspirierte, und wie diese im Sommer 1992 mit Hardcore Breakbeats
die Love Parade überrumpelten. Darauf folgte "Club des Jahres 1992"
und der Auftritt der beiden DJ's, samt milk! Posse, auf der Mayday III. Schnell
verlor jedoch das milk! die Kontrolle über den zu erwartenden Hype, die beiden
Resident DJ's mieteten sich im
Frankfurter XS ein und der Spirit of 1992
durchlief eine unwiderrufliche Transformation: Happy Hardcore wird zu Darkness,
wird zu Jungle. Dass diese Entwicklungen auch in Deutschland mitverfolgt werden
konnten, hat man dem XS (und seiner DJ-Einkaufskraft) zu verdanken. Somit konnten
die bestehenden Kontakte zur britischen DJ-Bruderschaft aufrechterhalten und ausgebaut
werden. Als dann das XS schließen musste, wurde das Zepter in die Hand der
Junglists gelegt: aus Konsumenten wurden Veranstalter, aus Strand Bars wurden
Magnete für die Bassline Junkies, aus Peugeot 205's wurden BMW's, aus Neckargemünd
kam Deutschlands erstes Label,
Smokin Drums, und Nußloch wurde von
der
Bassline Generation aus dem Schlaf gerissen.
Und so wie im Königreich aus einem Breakbeat-Keim mehrere Spezies herauswuchsen
(Hardstep, Drum'n 'Bass, Ragga-Jungle, Ambient, Jazz etc.), kann man eine ähnliche
Entwicklung hier feststellen. Dass das Vibration, dann Crime und letztendlich
Meditation über die Jahre hinweg aus den Hardstep-DJ's Randall, Mickey Finn,
Hype, DJ Rap, Grooverider, DJ SS, Brockie, usw. sowie die Ambient-Drum'n'BassProtagonisten
Fabio, L TJ Bukem, Peshay und aus den MC's GQ, Navigator, Moose, Five-O und den
Ragga Twins bekannte Namen gemacht hat, ist unbestritten. Dass sie aber den Weg
freigemacht haben für eine Vielfalt von Konzepten ist weniger bekannt. Z.B.
für das
Future Veranstaltungsteam, dass jetzt ein Mal im Monat freitags
im MS Connexion eine Clubnight präsentiert. Der Akzent liegt dabei auf ergiebigen
Sets ausgewählter britischer und deutscher DJ's. Weiterhin Club-tauglich
ist der niedrig gehaltene Eintrittspreis von 15,- DM. Die erste Party findet am
28. Juni statt und wird musikalisch von den DJ's Tobestar (München), Jan
Sirup (Humpty-Homegrown) und Randall & MC GQ bestritten. Der Juli sieht Auftritte
der Speed-DJ's Kemistry & Storm, Tobi (High Times) und Dagmar da Moerderin
(Köln) vor.
Am 21. Juni werden sich auch wieder die zwei Veteranen Tobi und Jonathan in die
Schlacht am Rhein-Neckar-Delta begeben. Bekannt als DJ's, die Jungle selbst in
den dunkelsten Zeiten am Glühen hielten, darf man gespannt sein auf ihr neustes
Projekt "
simstim - the neural network" (kurz für engl. simulation
stirnulation), das ein Mal im Monat im Loft in Ludwigshafen stattfinden wird.
Was "simstim" von anderen Club-Konzepten unterscheidet, ist die klare
Linie in Richtung Future-Surfing und Casual Jazzual-Ästhetik. Entsprechend
auch die Gast DJ's, die eine ebenso klare Linie verfolgen; zur Eröffnungsparty
wurden Dr. S. Gachet, Peshay und MC Cleveland Watkiss und, natürlich, Tobi
und Jonathan verpflichtet. Und für entspannte Bar-Atmosphäre wird auch
weiterhin Donnerstag abends im Pro-Test (nahe Contra'n) gesorgt ...
"Jungle's what you want and Jungle's what you get!"

Text: Oliver Koehler (Juni 1996)
Der Text erschien in "Pressure" im Juni 1996 und wurde future-music.net freundlicher Weise zur Verfügung gestellt.